Konzept
Das Projekt 100% MENSCH präsentiert seit Herbst 2017 eine große Kunstausstellung zum prägenden Beitrag von LGBTIQ* an der gesellschaftlichen Entwicklung Europas: WE ARE PART OF CULTURE. Gezeigt werden über 30 eigens für die Ausstellung geschaffene Portraits von Persönlichkeiten, die die Gesellschaft nachhaltig und positiv geprägt haben. Die Ausstellung wanderte zunächst in Kooperation mit der Deutschen Bahn durch die 20 größten Bahnhöfe Deutschlands. Ab 2019 werden die Kunstwerke und mehrsprachigen Informationstexte in Rathäusern. Volkshochschulen, Firmen und anderen öffentlichen Räumen im In- und Ausland zu sehen sein. Akzeptanz, Respekt, Selbstbewusstsein und der Bruch mit der häufig reduzierenden Opferrolle stehen im Fokus der Ausstellung.
Die Entwicklung der WE ARE PART OF CULTURE wurde 2017 – 2019 durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ und die Bundeszentrale für politische Bildung gefördert.
Das gemeinnützige Projekt 100% MENSCH bricht mit der Reduktion auf die Opferrolle von gleichgeschlechtlich liebenden Menschen und Menschen mit einer geschlechtlichen Thematik.
Verfolgung, Ermordung, Ausgrenzung, Mobbing und Diskriminierung charakterisieren bis heute die weltweite Lage von gleichgeschlechtlich liebenden Menschen und Menschen mit einer geschlechtlichen Thematik. Immer wieder werden LGBTTIQ* Opfer von physischer und psychischer Gewalt. Die Aufarbeitung der Verbrechen, die Sichtbarmachung der Nicht-Gleichbehandlung sowie den Opfern ein Gesicht und ihrer Geschichte Raum zu geben, ist enorm wichtig im Kampf um Gleichberechtigung, Akzeptanz und Respekt. Und doch ist diese Fokussierung einseitig und weißt LGBTTIQ* eine Rolle, eine Haltung zu: die des Opfers. Wer immer nur Opfer genannt wird, fühlt sich auch irgendwann als Opfer!
Das Projekt 100% MENSCH hat es sich zur Aufgabe gemacht, dieses Bild zu erweitern und klarzustellen: Wir sind mehr als Opfer! Wir haben diese Gesellschaft, diese Kultur aktiv und positiv mitgestaltet. Wir haben Geschichte geschrieben. WE ARE PART OF CULTURE!
Die Kunstausstellung WE ARE PART OF CULTURE zeigt über 30 Persönlichkeiten von der Antike bis heute, die unsere Gesellschaft, unsere Kultur nachhaltig geprägt haben. Menschen, die gleichgeschlechtlich geliebt haben. Menschen, die eine geschlechtliche Thematik hatten. Die Portraits der Persönlichkeiten, wie z.B. von Virginia Woolf, Alan Turing, Friedrich II. von Preußen, Christina von Schweden, Lili Elbe und Selma Lagerlöf wurden von national und international bekannten Künstlerinnen und Künstlern wie z.B. Ralf König (Köln), Robert W. Richards (NY), Gerda Laufenberg (Köln), Anne Bengard (Berlin) speziell für die Ausstellung geschaffen. Die verwendeten Stilrichtungen von Tusche, Acryl, Stencil und Zeichnung bis zu Cartoon und Illustration sind dabei so vielfältig wie die vorgestellten Persönlichkeiten.
Die Ziele der Ausstellung umfassen dabei:
- Sensibilisieren der Gesellschaft für die Belange von LGBTIQ* Personen
- Aufarbeitung der Geschichte von LGBTIQ* und ihrem Einfluß auf die gesellschaftliche Entwicklung
- Aufbrechen der oft reduzierenden Opferrolle von LGBTIQ*
- Empowerment durch das Aufzeigen von Identifikationsfiguren
- Aufbrechen der „stillschweigenden Heterosexualisierung“ von Geschichte
- Aufzeigen der Wichtigkeit von Vielfalt für eine produktive, zukunftsfähige, dynamische und kreative Gesellschaft
- Erreichung von gesellschaftlichen Gruppen, die mit LGBTIQ* Thematiken nicht vertraut sind oder eine negative Grundhaltung einnehmen.
Um ein breites Publikum zu erreichen wurden folgende Methoden implementiert:
- die Ausstellungsräume sind öffentlich, eine zufällige Begegnung mit der Ausstellung ist zentral
- mehrsprachige Informationstexte
- Verwendung einer möglichst einfachen Sprache
- über QR-Codes anwählbare Audiodateien für Menschen mit eingeschränkter Seh- oder Lesefähigkeit
- Informationstexte auf zwei Höhen (Steh- und Sitzhöhe (Rollstuhl)) bei den Bannersäulen
- Fokussierung auf die Lebensleistungen der dargestellten Persönblichkeiten (Empowerment)
Von Herbst 2017 bis Frühjahr 2019 wurde die Ausstellung in Kooperation mit der Deutschen Bahn AG in 20 großen Bahnhöfen Deutschlands gezeigt und konnte so ein breit gestreutes Publikum vorgestellt werden. Der Grad der Niederschwelligkeit, der Barrierefreiheit und der „Zufälligkeit der Begegnung“ ist für diese Form der Diversity-Ausstellung einzigartig.
Ab 2019 wird die mehrsprachige WE ARE PART OF CULTURE nun in verschiedenen Präsentationsformen durch Rathäuser, Volkshochschulen, Firmen und andere öffentliche Räume im In- und Ausland wandern. Die Aufarbeitung der Geschichte von LGBTIQ* sowie die Förderung von Akzeptanz und Respekt von Vielfalt stehen im Fokus der Ausstellung.
Die Auswahl der Persönlichkeiten
WE ARE PART OF CULTURE zeigt exemplarisch eine Auswahl berühmter LSBTTIQ*-Persönlichkeiten aus den Bereichen Politik, Wissenschaft, Literatur, Musik, Kunst und Unterhaltung.
Eine möglichst gleichberechtigte Darstellung von Frauen und Männern sowie eine ausgewogene Verteilung von der Antike bis heute war ebenso Grundlage der Auswahl, wie die Prämisse, trans* und inter* Personen trotz der geringen historischen Quellenlage so weit wie möglich in die Ausstellung zu integrieren.
Folgende Kriterien wurden bei der Auswahl der Persönlichkeiten zugrunde gelegt:
- Die Person wurde in Europa geboren oder hatte ihr Hauptwirkungsfeld ebenda.
- Ihr Werk hat einen bleibenden Einfluss auf die Entwicklung ihres Wirkungsgebietes gehabt („Fußabdruck“) oder
- Die Person gilt als Vorreiter*in der Emanzipationsbewegung in Europa gehabt.
- verstarb spätestens im 20. Jahrhundert.
Der vierte Punkt wurde im Verlauf des Auswahlprozesses auf den Todestag von Freddie Mercury (24. November 1991) konkretisiert. Mit der AIDS-Krise der 80er und 90 Jahre erlangte das Thema „Homosexualität“ eine bis dahin nie dagewesene weltweite Sichtbarkeit und Solidarisierung mit LSBTTIQ* (in diesem Falle vor allem mit schwulen Männern). Auf Grund von HIV/AIDS wurden erste Aufklärungs- und Antidiskriminierungskampagnen durchgeführt und eine große Zahl berühmter Persönlichkeiten outeten sich oder wurden geoutet. Der Tod des europäischen Megastars Freddy Mercurys brachte LSBTTIQ* schließlich in jede Zeitung und jeden Haushalt. Aus dem Blickwinkel der Ausstellung WE ARE PART OF CULTURE markiert diese Zeit daher einen Wendepunkt zur gesellschaftlichen Sichtbarkeit und Thematisierung und somit einen idealen Endpunkt der Ausstellung.
Die Suche nach geeigneten Persönlichkeiten erfolgte über verschiedene Kanäle wie Internet, Bücher, LSBTTIQ*-Geschichtsvereine und Expert*innen. Die Suche ergab binnen kurzer Zeit eine Liste von über 300 Persönlichkeiten, welche in mehreren Entscheidungsrunden durch das Team des Projekts 100% MENSCH auf 36 Persönlichkeiten reduziert wurden.
Ausschlaggebend für die Endauswahl waren hierbei neben Bekanntheit, Wirkungsfeld und Jahrhundert auch die persönlichen Einschätzungen der Teammitglieder, welche Personen sich „besonders gut machen würden“. Wie wir nicht nur auf den Vernissagen immer wieder betont haben, hätte jede besuchende Person der Ausstellung vermutlich eine völlig andere Auswahl getroffen.
Aus der Vielzahl von berühmten und markanten Persönlichkeiten wurden final 19 Frauen (zwei davon trans*), 17 Männer (eine trans*) sowie eine vermutlich intergeschlechtliche Person ausgesucht.
Schwierigkeiten bei der Auswahl
Bei einigen Persönlichkeiten, insbesondere bei denen aus Zeiten, als Homosexualität unter schwerer Strafe stand (z.B. Sir Francis Bacon, Robert St. S. Baden-Powell) oder keine antiken Aufzeichnungen vorhanden sind (z.B. Sappho), konnten keine gesicherten Aussagen über deren sexuelle Orientierung getroffen werden. Wenn Eigenzitate, Äußerungen von Zeitzeugen und aussagekräftige Indizien ein in sich schlüssiges Bild ergeben, so wurden diese Personen dennoch in die Liste mit aufgenommen. Die Bezeichnungen lauten in diesen Fällen „vermutlich schwul, lesbisch, transsexuell“. Grundsätzlich ist anzumerken, dass die Begriffe „homosexuell“, „bisexuell“, „schwul“, „lesbisch“ sowie „transsexuell“, „transgender“ und „intersexuell“ erst Ende des 19. Jahrhunderts geschaffen wurden, als Homosexualität und Geschlecht erstmals Inhalt wissenschaftlicher Untersuchungen wurden.
Persönlichkeiten, bei denen die wissenschaftliche Diskussion noch läuft (z.B. da Vinci, Florence Nightingale) wurden ebenfalls entsprechend gekennzeichnet.
In vielen Fällen waren die Persönlichkeiten trotz ihrer sexuellen Orientierung verheiratet (Scheinehen, dynastische Ehen etc.). Dieses galt insbesondere für Frauen, da diese über lange Zeit hinweg entweder nicht arbeiten durften oder für ihre Arbeit nicht bezahlt wurden. Somit war eine Ehe häufig die einzig mögliche Form der existenziellen Absicherung. Auch aus diesem Grund ist eine Abgrenzung zwischen „homosexuell“ und „bisexuell“ nahezu unmöglich. Im Zweifel wurde aus diesem Grund „schwul/bisexuell“ bzw. „lesbisch/bisexuell“ verwendet.
Auszeichnung
Die Ausstellung WE ARE PART OF CULTURE wurde 2017 in die Bundesauswahl des renommierten Wettbewerbs StartSocial unter der Schirmherrschaft von Frau Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel gewählt.
2018 wurde die WE ARE PART OF CULTURE mit der Pink Sissy – dem Community Preis Stuttgarts – ausgezeichnet.